Donnerstag, 14. April 2016

[Leseprobe] Der Himmel über Farefyr - Baron Ezzrich


Heute gibt es eine zweite Leseprobe! Und zwar diesmal spoilerfrei. Die könnt ihr also alle ohne Bedenken lesen und euch einen kleinen Vorgeschmack holen *gg*

Genug gefaselt, ich wünsche euch viel Vergnügen mit dem Baron *düsterlach* :)





Der Reiter kam der alten Hütte näher und näher. Seine abgetragene Kleidung passte ebenso wenig in dieses Reich, wie in dieses Zeitalter.  Sein brauner Umhang war mit aufwendigen Verzierungen bestickt und er trug einen Dreispitz, dessen Nachfahren unter den Adligen im Ossreich auch heute noch sehr geläufig waren. Das Gesicht war die einzige Stelle seines Körpers, die im letzten Jahrhundert etwas Sonnenlicht abbekommen hatte und das auch nur in den wenigen Momenten, in denen sich ein Grund geboten hatte, das Kinn nach oben zu recken. Der hochgeschlossene Kragen, der ihm beinah bis zu den Augen reichte, und die langen, bleichen Haare wussten für gewöhnlich zu verhindern, dass ein Sonnenstrahl den Weg auf seine Haut fand. Die bis zu den Ellbogen reichenden Handschuhe nahm er nie ab und so zeigten sie entsprechende Spuren der Abnutzung.
Baron Josif Ezzrich war keine ansehnliche Gestalt und das wusste er auch. Aber wenn man so lange gelebt hatte wie er, war einem sein Aussehen und wie andere darauf reagierten in den meisten Fällen egal.
In seiner Heimat im Osten war er als Kinderschreck bekannt. Verzweifelte Eltern drohten ihrer Brut damit, dass er sie, wenn sie nicht brav waren, in einen Sack stecken und in seinem verstaubten Schloss verspeisen würde. Der Pöbel verbreitete gern solche Halbwahrheiten, aber die störten ihn schon lange nicht mehr. Die meisten Menschen glaubten nicht einmal, dass er mehr als eine Erfindung war.
Wie auch immer, er hatte einen Auftrag zu erfüllen, der ihm mit einem Schlag ein paar hundert Jahre mehr beschaffen konnte.
Sein Schimmel Hellfried führte ihn beharrlich über das steinige Gelände und durch die tiefen Wälder. Der steile Anstieg kostete zwar einiges an Kraft, aber das untote Tier war genauso wenig an körperliche Limitationen gebunden wie er.
Nach einem dreitägigen Ritt hatte der Baron sein Ziel erreicht, aber nach kurzem Umsehen bemerkte er, dass etwas nicht stimmte.
Die Holzfällerhütte schien verlassen, und das schon seit einiger Zeit. Unkraut wucherte in dem kleinen Garten neben den sehr spärlichen Gemüsepflanzen. An einem Fenster hing der Flügel nur noch an einer Angel, wie eine Fledermaus mit halb aufgeschlagenen Schwingen. Ein Blick nach innen zeigte, dass der Staub dort die Oberhand gewonnen hatte.
Josif musste an sein Schloss denken, aber in dem sah es eigentlich gar nicht so schlimm aus wie die Leute behaupteten.
Der Baron schwang sich vom Pferd und landete katzenartig auf seinem linken Bein, ein Bewegungsablauf, der inzwischen ganz natürlich vonstattenging. Sein rechtes Bein war während der Eroberung des Ostfarefyr, das nun seit bald zwei Jahrhunderten ein Teil des Ossreichs war, gebrochen und falsch verheilt. Er hatte seinen Verwandten und jedem, der danach gefragt hatte, erzählt, es sei im Kampf geschehen, aber in Wirklichkeit war er bloß in eine Grube gefallen, deren Rand von dichtem Gestrüpp verdeckt gewesen war.
Nach kurzem Überlegen zog er sein Schwert. Man konnte nie wissen, was einen erwartete, sei es auch nur ein wildes Tier, das sich hier eingenistet hatte.
Während er sich hinkend dem Eingang näherte, ließ der Baron seine antike Klinge über die Gräser gleiten und schob dann langsam mit dem Fuß die Tür auf.
Im ersten Raum stand ein leerer Tisch, vor dem ein umgefallener Stuhl lag. Neben dem Ofen schnellte eine Ratte die Wand entlang hinter einen Schrank. Von seiner Position aus konnte Josif das Bett im nächsten Zimmer sehen. Irgendein Tier musste angefangen haben, ein Nest darin zu bauen, da ein Haufen Zweige darauf lag.
Ein paar Schritte durch das Haus zeigten, dass sich keine Menschenseele darin befand, also steckte Baron Ezzrich sein Schwert zurück in die Scheide.
Er durchsuchte eine Kommode in der Schlafkammer und fand einen Stoß Zettel, auf die ein Kind irgendetwas Unverständliches geschrieben hatte.
Auch im Rest der Hütte fand er nichts Nützliches und beschloss, einen Moment auf dem Sessel zu rasten. Er schloss kurz die Augen und konzentrierte sich auf seinen unregelmäßigen Herzschlag. Hin und wieder musste er sicherstellen, dass das Ding noch funktionierte, schließlich mussten seine Glieder ausreichend durchblutet werden, wenn er nicht riskieren wollte, dass eines davon plötzlich abfiel. Xantach, der Nekromant hatte ihn davor gewarnt.
Der Baron öffnete die Lider erneut und wandte seinen Blick zur Seite. Durch die dreckige Fensterscheibe erkannte er, dass neben dem Haus irgendetwas war. Er richtete sich auf und humpelte aus der Hütte in den hinteren Bereich des Gartens.
Zwischen den Gräsern lugte ein leicht gekippter Grabstein hervor, auf dem zwei Namen standen.
Unter Umständen war sein Auftrag früher erledigt als erwartet, aber er musste es ganz sicher wissen. Mit einem 'vielleicht' würde sein Auftraggeber sich nicht zufriedengeben.
Josif hinkte in den Schuppen und nahm sich eine Schaufel. Es war für einen Mann seines Standes unwürdig, dennoch begann er zu graben, was sich mit seinem Bein als gar nicht so leicht herausstellte.
Nach einer Weile stieß er auf den Sarg und ein paar Spatenstiche mehr zeigten, dass er nicht groß genug für zwei Personen war. Ein zweiter Sarg war nicht zu finden.
Bevor er den Holzkasten öffnete, atmete er einmal tief ein.
Er schlug die Verriegelung auf und hob den Deckel.
Verdammt, es war die falsche Leiche.
Noch ehe er seine Wut rauslassen konnte, hörte er auf der anderen Seite der Hütte Hellfried wiehern, was vermutlich Besucher bedeutete.
Er konnte sich nicht vorstellen, dass die sein Treiben hier gutheißen würden.
Als er um die Ecke kam, erblickte er zwei Männer. Der eine jung und blond, der andere sehr kräftig gebaut mit einem dunklen Schnauzer. Sie waren wie Banditen gekleidet und beide hatten Waffen in der Hand – der Junge einen langen Dolch, der Ältere ein Kurzschwert.
„Was wollt ihr?“ fragte Josif und gab den Räubern somit noch eine Chance, das eigentlich Unumgängliche zu verhindern.
„Wir wollten nur nachsehen, ob hier alles rechtens ist“, sprach Schnauzbart mit einem Lächeln auf den Lippen. „Seid Ihr etwa ganz allein unterwegs, alter Mann? Ganz schön gefährlich, wenn Ihr mich fragt.“
„Euer Tonfall missfällt mir.“
„Schon gut, schon gut. Ihr seid adelig, nicht wahr? Aber woher stammt Ihr? Ich erkenne Eure Kleidung gar nicht.“
Als der Baron nicht antwortete, nickte der Mann mit dem Kopf hinter die Hütte. „Was habt Ihr da hinten gemacht? Einen Schatz ausgegraben?“
„Am besten verschwindet ihr wieder, solange ihr noch könnt.“
Die beiden lachten. „Besonders gesellig seid Ihr ja nicht, Eure Lordschaft. Kein Wunder, dass niemand mit Euch reisen will.“
Der Baron zog sein Schwert. Er hatte genug von dem Unfug.
„Hey, nicht, dass sich hier einer ein Auge aussticht.“ Schnauzbart hob sein Kurzschwert und winkte seinen Gefährten herbei.
Dieser grinste: „Ben! Pass auf, dass du den Mantel nicht erwischst. Ich glaub, der würde mir gut stehen.“
Die Banditen versuchten, Josif von beiden Seiten zu bedrängen, aber er wich nach hinten aus.
„Stirb, alter Bastard!“ Blondschopf stürzte sich mit seinem Dolch auf den Baron.
Dieser konnte den Übermut des Jungen erst gar nicht fassen und hätte nicht damit gerechnet, dass der Bursche es schaffen würde, sich noch rechtzeitig zu ducken und dem Hieb des Barons auszuweichen. Der Kerl namens Ben sprang vom Boden auf Josif zu, doch dieser hatte bereits seine Klinge dazwischen.
Nun mischte sich auch noch Schnauzbart ein und versuchte mit einem kräftigen Schlag auf das Schwert des Barons, diesen aus dem Gleichgewicht zu bringen, aber er gab kein bisschen nach. Er lenkte den nächsten Hieb des Bärtigen zur Seite und zwang ihn mit einem Schwung der Klinge, einen Schritt zurück zu machen.
Der Junge nutzte die Öffnung in der Deckung des Barons, wollte ihm den Dolch ins Herz rammen, doch Josif führte die Waffe mit einem Schlag auf den Arm des Angreifers nach unten ab, wo sie schließlich ihr Ziel zwischen seinen Rippen fand. Ben ließ los und wollte sich fluchtartig entfernen, aber der Baron packte ihn am Hals.
Der Blondschopf ergriff Josifs Arm und versuchte, sich durch Fausthiebe auf den Unterleib loszuschlagen, während Schnauzbart einen weiteren Angriff wagte.
Nichts von beidem sollte gelingen.
Der Baron drückte immer fester zu und ließ nicht ab. Dem Hieb wich er aus.
Er schwang sein Schwert und traf die Finger des Räubers, woraufhin dieser seine Klinge fallen ließ. Er wollte sich bücken und danach greifen, aber Josif stieg darauf.
„Ihr habt Euch heute mit dem Falschen angelegt“, sprach er verächtlich, gab dem Jungen, der inzwischen wie eine bewusstlose Ratte in seiner Hand hing, einen letzten Ruck und brach mit dieser Bewegung dessen Genick.
Endlich hatte er wieder eine Hand frei und konnte sich den Dolch aus dem Leib ziehen. Er betrachtete ihn kurz und warf das wertlose Stück Metall zur Seite, neben den Leichnam des Räubers.
„Ihr, Ihr blutet ja gar nicht“, stotterte Schnauzbart mit weit aufgerissenen Augen.
„Nein, aber Ihr werdet gleich bluten.“
Der Bandit hastete erschrocken nach hinten und stolperte über eine morsche Holzlatte, woraufhin Josif nach vorn trat und ihm eine mit dem Schwertknauf gegen die Stirn verpasste.
Er packte den Benommenen wie zuvor dessen Begleiter, und hob ihn hoch auf Augenhöhe. Schnauzbarts Kehle entrang sich noch ein Stöhnen, bevor der Baron sein Schwert wegwarf, dessen Lumpen, die seinen Oberkörper bedeckten, beiseite zerrte und ihm seine kalten Finger mit voller Kraft unter den Brustkorb rammte.
Josif bohrte sich weiter vor, umklammerte das Herz und riss es aus dem leblosen Körper. Mit wässrigem Mund ließ er diesen fallen und hielt euphorisch das noch schlagende Organ in seiner Hand. Ohne es länger erwarten zu können, schob er es sich über den Kragen und begann, es zu verspeisen. Sofort spürte er, wie seine Lebenskräfte stärker wurden. Das Blut lief unter seiner Kleidung den ganzen Leib hinunter, der die energiespendende Flüssigkeit aufsaugte wie ein Schwamm, bis nicht mal mehr an seinem Gewand etwas davon zu sehen war.
Viel zu lange war es her gewesen, dass er zuletzt diesen Geschmack auf seinen Lippen spürte. Er konnte es fühlen. Seine Lebenszeit hatte sich um sicher ein Jahr vermehrt. Kein Vergleich zu den Tieren, die üblicherweise für seine Regeneration sorgten. Kein Zweifel, wenn es nicht so viele Umstände mit sich brächte, würde Baron Ezzrich öfter auf Menschen zurückgreifen.
Sein eigenes Herz beruhigte sich nach kurzer Zeit und schlug weiter auf seine arhythmische Art und Weise. Er sammelte sich und überlegte, was er jetzt bezüglich seines Auftrages machen sollte.
Die Person, die er suchte, lag nicht dort drüben in diesem Grab.
Das hieß, dass er sich in der Nachbarschaft umhören musste. Sollte auch das keine neuen Informationen liefern, blieb dem Baron keine Wahl, als nach Redport zu reisen. Dort würde er sich beim Militär erkundigen, ob seine Zielperson vielleicht einberufen worden war.
Josif wollte keine Zeit verschwenden und schwang sich sogleich auf sein Pferd. Er blickte sich noch einmal um und fragte sich, was der nächste Reisende vermuten würde, wenn er den Ort so vorfand – mit den zwei Leichen und dem offenen Grab.
Wahrscheinlich, dass ein Untoter aus der Erde gestiegen war und nun seine Schrecken in der Gegend verbreitete, womit er von der Wahrheit ja nicht allzu weit entfernt war.

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