Sonntag, 27. November 2016

John Cuttlers erster Fehlschlag // {Ascot Biscuits}

Traditionelle Ascot Biscuits - mit einem Klick kommt ihr sofort zum Rezept


Mein Name ist John. John Cuttler. Ich wurde als jüngstes von elf Kindern im Osten des Wywarrick Empire geboren, von wo aus es mich in den hohen Norden zog. Dort, wo ich herkomme, schwärmte man stets von der ascot'schen Konditorskunst. Nun, ich muss sagen, ich war ziemlich enttäuscht, als ich in Ascot eintraf und feststellte, dass es mehr Lobhudelei als ernstzunehmende Tatsachenberichte gewesen waren, die mir die Ohren hatten süß werden lassen. Einmal angekommen, wollte ich dennoch mein Glück versuchen und von den Meistern unseres Landes lernen... Die Ereignisse begannen unerwartet schnell, sich gefährlich zuzuspitzen, weshalb ich nicht in Ascot bleiben konnte. Ihr werdet noch erfahren, weshalb, aber beginnen wird doch lieber von vorne.

Ich liebe alle Arten von Süßigkeiten. Diese Leidenschaft, die man als meine zweitgrößte Schwäche bezeichnen darf, ist der Grund dafür, dass ich immer schon Zuckerbäcker werden wollte. Mein Vater, ein Metzger mit Leib und Seele (Fleisch und Blut), war davon nicht begeistert, aber ich habe noch nie getan, was andere von mir verlangten (na gut, ein einziges Mal habe ich es doch getan) - man könnte sagen, ich hätte ein Problem mit Autoritäten. Jedenfalls wollte ich mich meines Vaters Willen nicht beugen und zog, kaum war ich alt genug, in die Welt hinaus, um ein berühmter Konditor zu werden. Zumindest erhoffte ich mir das.

Mein erster Lehrmeister hieß Robert Beldwin und hatte einen kleinen Laden namens 'Beldwins Finest' im besten Viertel der Stadt Ascot - Pembroke. Ich war sehr verwundert, dass er mich als seinen Lehrling aufnahm, doch ich hatte mit meiner humorvollen Art und meinem Charme ganze Arbeit geleistet und bei Beldwin schnell einen Stein im Brett. Allerdings saß dieser zu locker, wie ich noch feststellen sollte...

Als mein dritter Monat bei Zuckerbäcker Beldwin anbrach, hatte ich es allmählich satt, dass der Mann keinen einzigen meiner Vorschläge annehmen und ich keine meiner zahlreichen Ideen (die mir damals wie heute als grandios erscheinen) verwirklichen durfte. Ich sträubte mich immer öfter und Beldwin und ich wiegelten uns gegenseitig auf. Wie hoch das Schiff meines Schicksals bereits schaukelte, wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nicht, doch an einem eisig kalten Herbstmorgen ließ eine Begegnung mein Beiboot kentern.


Ich traf zum ersten Mal auf Reiher...


Schon im schmalen Gang draußen, der von der Backstube zum Laden führte und den ich mit einem Blech voll Ascot Biscuits beladen bezwang, hörte ich das Glöckchenläuten an der Tür und gleich darauf einen Streit.
"Reiher, du hier? Mich verwundert deine Lust auf Süßes. Ich dachte, einer von deiner Sorte ernährt sich von Fischen und allerlei sonstigem Meeresgetier", lachte ein Mann boshaft.
Und als eine zarte, schnippische Stimme antwortete, musste ich kurz innehalten, um den Klang zu genießen. "Ihr mögt mich nennen, wie ihr wollt, aber erwartet nicht, dass ich mich verhalte wie das Tier, zu dem ihr mich zu machen gedenkt."
"Nimm es uns nicht übel, Reiher. Es ist nur dein langer Hals, den wir verspotten", kicherte ein Mädchen mit bockigem Unterton, das ebenso unsympathisch klang wie der Kerl, mit jenem zusammen es einen anderen verhöhnte.
Ich trat in den Laden hinaus und war ein weiteres Mal gezwungen, mitten in der Bewegung zu verharren, als ein minzgrüner Blick auf den meinigen traf. Herrgott, was für Augen! Und was für ein Mann, zu dem sie gehörten! Allzu viel war mir nicht gestattet, von ihm zu sehen, da der junge Adelige, den sie Reiher nannten, sich ab der Nasenspitze hinter einem schwarzen Fächer versteckte, aber oh, was für eine süße kleine Nase er hatte. Und diese Augen! Habe ich schon erwähnt, welch wunderschöne Augen er hatte? Sie zogen mich sofort in ihren Bann und ich war hin und weg. Auf dem Kopf trug Reiher einen schwarzen Nebelspalter (wie der Dreispitz von der niederen Bevölkerung gerne genannt wird) und sein ebenso schwarzes Haar lugte darunter hervor. Es war mit einer breiten Schleife aus Samt im Nacken gebunden und glänzte betörend. Seine Haut war so blass, dass sie im Zusammenspiel mit seinem Haar tatsächlich an das Gefieder eines Reihers erinnerte.
Ich musste mich erst fassen und stellte das Tablett mit den Ascot Biscuits beiseite (die mir im Übrigen immer schon verdammt fade vorgekommen waren).
Eilig bediente ich die beiden Spöttler, die - wie hätte es anders sein können - nach den langweiligen Biscuits verlangten und damit von dannen zogen. Die Tür schloss sich hinter ihnen und Reiher und ich waren allein. Ich muss an dieser Stelle wohl nicht erwähnen, wie heftig mein Herz klopfte...
"Womit darf ich Euch dienen, edler Herr?", fragte ich mit einem neckischen Unterton, der Reiher wissen lassen sollte, dass ich ihm nicht nur Kekse geben würde, sondern alles, wonach ihn verlangte.
"Ich bin auf der Suche nach einer Nascherei, die mir zusagt." Er wandte den Blick ab und ließ ihn über die Köstlichkeiten (dass ich nicht lache) schweifen, die hinter einer gläsernen Wand ausgebreitet lagen. "Mein Vater nahm mich letzten Monat auf eine seiner Dienstreisen mit. Ins Ossreich. Dort gab es wundervolle Kekse, an denen ich mich nicht satt essen konnte. In Ascot gibt es so etwas nur leider nicht. Wir haben nur diese trockenen Biscuits, die nach der Verspießtheit der Leute hier schmecken."
Ich musste lachen und lenkte seine Aufmerksamkeit auf mich. Es prickelte zwischen meinen Schulterblättern. "Meine Rede, Sir. Ich sagte meinem Meister, dass man die Ascot Biscuits aufwerten könnte, aber er will nicht auf mich hören. Meint, das wäre der Teufel, der aus mir spricht, weil ich das Heiligtum der Stadt zerstören will."
Reiher musterte mich argwöhnisch über seinen Fächer hinweg, den er mit einem unglaublichen Maß an Grazie bewegte, und ich musste meine Blicke zügeln, die über seinen schlanken, zierlichen Körper in feinster Kleidung wandern wollten. "Seid Ihr nicht von hier, ... äh ..."
"John. John Cuttler", beeilte ich mich, begleitet von einer kleinen Verbeugung vorzubringen.
"John Cuttler", wiederholte Reiher mit einer Sanftheit, die mir Schauer über den Rücken jagte.
"Nein", antwortete ich dann, "ich bin im tiefsten Osten des Landes geboren. Ich hörte dort Lobpreisungen der Konditorskunst der ascot'schen Meister."
Reiher ließ einen Laut vernehmen, der nach einem unterdrückten Glucksen klang und mir ein Grinsen auf die Lippen trieb. Was für eine Schönheit... "Aufwerten? Inwiefern?", fragte er dann ungläubig.
"Ich zeige es Euch", meinte ich leise und griff nach ein paar Biscuits, um mich zu beweisen und dem Fremden, für den ich Feuer gefangen hatte, zu imponieren. Vielleicht konnten ihn meine Naschereien ja ebenso sehr begeistern wie die Kekse aus dem Ossreich. Zuvor vergewisserte ich mich, ob Beldwin auch nicht im Anmarsch war und mich mit einem nassen Leinentuch verprügeln würde, wenn er sah, welch Teufelswerk ich verrichtete. Ich legte die Kekse vor mich hin und kramte in den unteren Kästen. "Nennt mir Eure Lieblingsmarmelade."
"Heidelbeer", kam ohne ein Zögern zurück, obgleich jeder andere Mensch wohl erst nach einer Antwort auf eine so seltsame Frage hätte suchen müssen. Reiher wusste also, was er wollte. Dann musste ich jetzt bloß noch dafür sorgen, dass ich es war, den er wollte!
Ich griff nach dem richtigen Glas und richtete mich wieder auf. Erneut wühlten mich minzgrüne Augen auf, in meinem Bauch kribbelte es. Nun galt es, zu hoffen, dass meine Kunst ihn verführen würde... Ich füllte einen kleinen Spritzbeutel mit Marmelade und holte den Zucker hervor, mit dem ich die Plätzchen bestäubte. Dann füllte ich die kleinen Löcher in der Mitte mit Marmelade. Eines der Biscuits verfeinerte ich auch in den Zwischenräumen mit Marmelade, man konnte nie wissen, wie viel Marmelade Reiher für sein Glück brauchte.


John Cuttlers Version eines Ascot Biscuit

Ein Räuspern entrang sich meiner trockenen Kehle, als ich ihm eine meiner Kreationen reichte. "Für gewöhnlich lässt man sie zuerst ein wenig trocknen, aber sie schmecken auch in diesem Stadium bereits vorzüglich. Am besten allerdings am dritten Tag nach dem Backen."
"Ich weiß, wie man einen Keks behandeln muss, John Cuttler", belächelte mein Gegenüber mich neckisch und wandte mir sein Profil zu, um hinter dem Fächer einen vornehmen Bissen zu nehmen.
Reihers Gesichtsausdruck, als er kaute, war unbezahlbar. Er war so überwältigt, so angetan von meinem Keks, dass er den Fächer sinken ließ und mir einen Blick auf seinen Hals gewährte. Er war tatsächlich ungewöhnlich lang, dafür aber umso eleganter als jeder andere Hals der Welt. Es war jedoch sein Gesicht, das mich wahrhaftig faszinierte. Es war von ebenmäßiger Feinheit und einer Schönheit, wie ich sie noch nie zuvor gesehen hatte, von solch einer Anmut, die mich verzauberte.
Als er mein Starren bemerkte, verbarg er sich erneut mit einem Ruck.
Ich schüttelte den Kopf und bedauerte, dass mir der Anblick dieser Perfektion nicht mehr erlaubt war. "Oh, meinetwegen müsst Ihr Euch nicht verstecken. Ich habe eine Schwäche für Hälse."
Eine schmale, schwarze Augenbraue hob sich - misstrauisch, irritiert, ablehnend.
"Ich küsse sie gerne. Und umso länger, umso öfter kann ich meine Lippen darauf pressen. Das ist doch einleuchtend, nicht wahr?", fügte ich heiser hinzu und fürchtete, mich zu weit aufs Glatteis zu begeben.
Reiher räusperte sich und setzte eine kühle Miene auf, obgleich seine Wangen sich zu röten schienen - was für ein reizvoller Anblick... "Ihr dürft Eure Kekse allesamt einpacken, John Cuttler. Sie munden mir und ich möchte sie kaufen. Euer Meister muss ja nichts davon erfahren."
Ich tat nur allzu gern, wie mir geheißen, und redete mir ein, dass mein Flirtversuch zwar nicht erwidert, doch auch nicht abgelehnt worden war, was mir Hoffnung gab.
"Werde ich Euch also wiedersehen?", wagte ich zu fragen, als ich ihm die Keksschachtel überreichte.
Er nahm sie mir ab, ohne meine Finger zu berühren oder mir in die Augen zu sehen. "Es kann durchaus sein, dass wir uns nicht zum letzten Mal begegnet sind, John Cuttler."
Damit ging er. Ich hatte keine Ahnung, wer er war. Ich wusste nicht einmal seinen Namen, und dennoch war ich rettungslos verliebt. Ich wollte diesen einen Mann oder keinen. Das wusste ich schon in dem Moment, als Reiher aus Beldwins Finest marschierte und dabei so stolz dahinschritt wie der Reiher, als den man ihn verspottete. Doch für mich war es kein Hohn, als ich ihn unwillkürlich mit dem Tier verglich, das ich von allen am meisten mochte - einem Seidenreiher.
Und noch ehe das Klingen des Türglöckchens gänzlich verhallt war, beschloss ich, einen Keks zu kreieren, der mir Reihers Liebe einbringen und ihn für immer an mich binden würde... Eine recht gewaltige Aufgabe, aber mich konnte sie nicht abschrecken.


Das war sie also. Meine erste Begegnung mit Reiher. Eines der schönsten Ereignisse meines Lebens. Der Umstand, dass wenige Stunden später der erste Rauswurf folgte, weil Robert Beldwin bemerkte, was ich getan hatte. Der benutzte Spritzbeutel, für den ich keine Erklärung hatte, hatte mich verraten und ich besaß nicht die Kraft, alles abzustreiten. Der Mann jagte mich für den unverzeihlichen Frevel, ein Ascot Biscuit mit Zucker und Marmelade zu beschmutzen, aus seinem Haus. So blieb mir nichts anderes übrig, als mir eine neue Lehrstelle zu suchen und zu bangen, ob Reiher mich finden würde. Ob er mich überhaupt suchen würde! Aber das ist eine andere Geschichte...

Jene, die ihn die erste Lehrstelle kostete... doch zugleich Reihers Interesse weckte

Ich möchte Euch das Rezept für die Ascot Biscuits natürlich nicht vorenthalten, lieber Leser. Auch wenn ich mich frage, aus welchem Grund man diese Langweiligkeiten nachbacken wollen würde.




Ich hoffe, Euch nächsten Sonntag wieder hier willkommen heißen zu dürfen, um eine weitere Anekdote aus meinem bewegten Leben zu erzählen.


Ich verbleibe bis dahin mit den besten Wünschen,


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